Wer schützt wen?

Herdenschutzhunde bzw. Hirtenhunde sind derzeit ein großes Thema im Hundetrainingsbereich. Wir haben dazu mit Sabine Taferner gesprochen, die aufgrund ihrer langjährigen Trainingserfahrung mit diesen Rassen eine ausgewiesene Expertin ist.

 

Welche dieser speziellen Rassen sind derzeit am häufigsten bei Ihnen im Training?

Ich betreue im Training sehr häufig Kangals und Kangal-Mixe. Aber auch andere Herdenschutzhund(mix)e sind dabei. Oft sind es Tiere, deren tatsächliche Rasse nur aufgrund des Herkunftslandes und ihres äußeren Erscheinungsbildes geschätzt werden kann. Dabei arbeite ich nicht nur mit Hunden, die im Haushalt mit ihren Besitzern leben, sondern auch mit Tierschutzhunden, die noch auf der Suche nach ihrem Zuhause sind.

 

Was sind dabei spezielle Anforderungen oder Besonderheiten, die das Training mit diesen Rassen beinhaltet?

Wie bei allen anderen Hunderassen ist es auch bei diesen Rassen so, dass die größte Herausforderung darin liegt, die Ansprüche des Hundes mit denen unserer Gesellschaft zu vereinen. Speziell beim Herdenschutzhund muss man wissen, dass viele rassetypische Verhaltensweisen erst ab 1,5 Jahren gezeigt werden. Da diese Verhaltensweisen noch nicht ausgereift sind, werden sie vom durchschnittlichen Halter oft nicht als solche erkannt und deshalb ignoriert oder falsch gehandhabt. Völlig ausgereiftes rassetypisches Verhalten wird oft erst mit 4 – 5 Jahren gezeigt – das ist deutlich später als bei vielen anderen Rassen!

Diese Tatsache führt dazu, dass viele HSH-Halter das Training nach dem ersten Lebensjahr des Hundes schleifen lassen. Sie haben dann einen gut abrufbaren und verträglichen Hund und ruhen sich auf diesem scheinbaren Erfolg aus. Tatsächlich ist es jedoch so, dass gerade dann die einschneidende Phase beginnt, die noch einige Jahre anhalten kann. Abgesehen davon sind Herdenschutzhunde allem voran auch „nur“ Hunde. Das Training mit positiver Verstärkung ist ebenso wirkungsvoll wie bei allen anderen Rassen. Es ist zwar manchmal schwieriger, passende Verstärker zu finden und sie dann richtig einzusetzen, macht aber wahnsinnig Spaß, wenn man einmal einen Zugang gefunden hat. Dann ist vieles möglich und die Kooperationsbereitschaft der Hunde sehr hoch.

Die wichtigsten Punkte im Training von Herdenschutzhunden sind für mich die gute Sozialisierung und Ruhe und Geduld. Denn diese Rassen lieben es, ihre Umgebung ausgiebig und in aller Ruhe zu beobachten. Außerdem ist ein überlegter Umgang mit Besuch essentiell, damit der Herdenschutzhund auch später noch freundlich und souverän reagiert, wenn Gäste kommen. Das Gleiche gilt für das Verhalten im Garten (z. B. das Bellen am Gartenzaun).

 

Gestaltet sich das Training rassebedingt länger, intensiver?

Hier würde ich eine klare Unterscheidung treffen zwischen dem Erlernen von Verhalten und der psychischen und physischen Entwicklung! Verhalten sowie die Verknüpfung und Umsetzung von Signalen lernen Herdenschutzhunde wie jeder andere Hund auch in individueller Geschwindigkeit: Es gibt Vierbeiner, die sehr schnell lernen, und andere, die länger brauchen. Das ist abhängig von der Lernumgebung und der Vorgeschichte des Hundes. Etwas länger dauern meiner Meinung nach die Umsetzung des Erlernten im Alltag und der Aufbau einer Routine. Das liegt in der langsameren körperlichen Entwicklung der Rassen begründet. Hier möchte ich anmerken, dass ich auch bei vielen anderen Rassen der Meinung bin, dass die Adoleszenz deutlich später eintritt, als vom Laien oft beschrieben.

 

Wie hat es sich ergeben, dass Sie so häufig mit diesen besonderen Rassen arbeiten?

Ich kam vor 12 Jahren zu 2 Malamute-Welpen, die sich schnell als Herdenschutzhund-Schlittenhundmixen entpuppten. Dadurch ergaben sich einige Probleme, die vermutlich durch mein Nichtwissen entstanden sind. Ich begann also, nach Hilfe zu suchen, und kam zu einer Trainerin, die mittlerweile eine enge Freundin ist. Sie erklärte mir, mit welchen Rassen ich es zu tun habe und vor allem, was das für uns bedeutet. Ich war sofort fasziniert und begann, mich einzulesen. Da ich immer noch überfordert mit meinen Hunden war, startete ich meine erste Trainerausbildung. Durch meine große Neugier bin ich schnell zu Fachpersonen wie Thomas Schoke und Mirjam Cordt gekommen. In Deutschland und anderen Ländern durfte ich immer wieder Erfahrungen mit Herdenschutzhunden sowohl in Arbeitshaltung als auch in Tierheimen sammeln und kam so bald an meine ersten Kunden. Einer der Hauptgründe, warum ich mit diesen Rassen so häufig arbeite, ist wohl einfach gesagt, dass ich sie liebe und mir eine Hundeschule ohne sie nicht mehr vorstellen könnte. Das Training gestaltet sich doch oft anders mit ihnen.

 

Was macht z. B. den Kangal genau aus?

In seiner Basis ist der Kangal ein Hund wie jeder andere. Unter den Herdenschutzhunden ist er einer der wendigsten und schnellsten Vertreter, was sich auch in seinen schlankeren und hochbeinigen Körperproportionen zeigt, wobei es auch hier Unterschiede in den Zuchtlinien gibt und teilweise schwere, Mastiff-ähnliche Hunde hervorgebracht werden. In der Türkei unterscheidet man zwischen unterschiedlichen Zuchtrichtungen, die aber zumindest farblich alle sehr homogen sind, mit Ausnahme des hellen Akbash. Der Kangal bringt prinzipiell eine doch ausgeprägtere Menschenfreundlichkeit mit, was dazu führt, dass sie auch in dicht besiedelten Gebieten eingesetzt werden. Deshalb werden sie leider auch bei uns immer wieder in städtischen Bereichen gehalten. Vor allem in den ersten Jahren sind sie – bei guter Haltung – sehr offen ihrer Umwelt gegenüber. Eine ausgeprägtere Menschenfreundlichkeit kann viele Varianten haben. Von Freude über Menschen bis hin zum höflichen Ignorieren finden sich viele Varianten im Verhaltensbereich der Herdenschutzhunde. Da die Hunde sehr lauffreudig sind, sind sie jagdlich auch deutlich ambitionierter als andere Herdenschutzhunde. In ihrem Herkunftsland jagen sie autonom und töten in der Gruppe auch größere Tiere. Schafe und andere Tiere nicht zu jagen, hat weniger mit fehlenden Elementen des Jagdverhaltens zu tun als mehr mit der Sozialisierung auf diese Tiere.

 

Mit welchen Fragen/Themen/Problemen kommen die Tierhalter zu Ihnen?

Im Bereich der Herdenschutzhunde sind die Themen häufig Leinenführigkeit, aber auch Leinenaggression. Aber auch zur Vergesellschaftung mit anderen Hunden oder Tieren sowie zur Ressourcenverteidigung kommen immer wieder Fragen. Besonders gerne begleite ich Halter von Herdenschutzhunden von Welpenpfoten an. Generell bekomme ich viele Anfragen zu den Themen Leinenführigkeit, Sozialisierung und adäquates, innerartliches Sozialverhalten bzw. Alltagstraining. Das sind Themen, die alle Rassen betreffen, nicht nur Herdenschutzhunde. Ich arbeite außerdem noch im Bereich des gewaltfreien Ausstellungstrainings und unterstütze Züchter und Tierheime bzw. Tierschutzvereine bei der Welpenaufzucht von der Geburt des Hundes bis zur (erfolgreichen) Vermittlung.

 

Gibt es Bereiche/Tiere/Halter, die Sie auch ablehnen?

Bei mir im Training bekommt jeder eine Chance, und niemand wird abgelehnt. Es kommt allerdings immer wieder vor, dass ich bei speziellen Anfragen an Kollegen verweise.

 

Woher stammt Ihre Erfahrung dazu?

Ich durfte in den letzten 10 Jahren in inländischen wie auch ausländischen Tierheimen immer wieder mit Herdenschutzhunden arbeiten und sie sowohl als Pfleger als auch als Trainer und in leitender Tätigkeit betreuen. Zusätzlich dazu durfte ich neben dem Tierschutz Züchter betreuen und diese in vielen Bereichen begleiten. Kurze und immer wiederkehrende Auslandsaufenthalte haben mir bewusst gemacht, wie wichtig eine ihrer genetischen Basis angepasste Haltung ist und wie wichtig es für uns ist, die Bedürfnisse unserer Hunde angepasst an unsere Gesellschaft zuzulassen. Ich lebe nun seit 12 Jahren mit einer größeren Hundegruppe von bis zu 7 Hunden bestehend aus Terriermix, Whippet, Dalmatiner, Malamute, Kaukase und Kangal und durfte von ihnen neben unseren 5 Katzen viel lernen.

 

Welche Ausbildung(en) haben Sie absolviert?

Meine Ausbildungen erstrecken sich von Animal Learn und Sheila Harper über Viviane Theby bis hin zu Ute Blaschke-Berthold. Fortbildungen im Bereich des Tiertrainings – also auch die Arbeit mit anderen Arten – sind mein größtes Hobby.

 

Wie kann man als Tierhalter mit einer solchen speziellen Rasse wie z. B. dem Kangal wirklich ein gutes, sicheres Zusammenleben hinkriegen?

Diese Rassen sind in erster Linie keine Hunde für eine sehr gesellige Familie, bei denen mehrmals wöchentlich Besucher ein- und ausgehen und es kaum Ruhe im Haus oder Garten gibt. Was Herdenschutzhunde sehr schätzen, wenn sie es denn kennen, sind Streicheleinheiten, Kontakt liegen und anlehnen. So manchen hat es schon mal umgehauen, wenn sich ein Kaukase während liebevoller Streicheleinheiten anlehnt, um den Körperkontakt in vollen Zügen zu genießen. Sie sind eben nicht nur Wächter, sondern auch Freunde und Familienmitglieder und hochsoziale Lebewesen. Auch offene Gärten in Reihenhaussiedlungen führen häufig nicht zu einer lebenslang entspannten Haltung dieser Hunde. Denn Herdenschutzhunde verteidigen ihre Territorien ab einem gewissen Alter ausdrucksstark mit einem deutlichen Auftreten und einem gut hörbaren Bellen. Die Hunde entscheiden dabei oft selbst, ob aktuell Bedarf an Verteidigung des Territoriums besteht oder eben nicht. Das kann in stark besiedelten Gebieten zu großen Problemen führen. Gute Grundbedingungen haben Familien mit einem sehr strukturierten und routinierten Alltag, denn Herdenschutzhunde schätzen klare Abläufe. Auch ein Garten sollte vorhanden sein sowie Nachbarn, die Verständnis für einen Hund haben, der auf die Umgebung aufpasst. Die meisten Herdenschutzhunde, die ich kenne, bevorzugen oft den Aufenthalt im Freien, suchen aber mindestens genauso oft den Körperkontakt und die Nähe ihrer Menschen. Eine ausschließliche Haltung im Freien oder auf Grundstücken ohne familiären Anschluss halte ich deshalb nur bedingt für artgerecht! Zumindest sollte immer ein Zweithund vorhanden sein und ein täglicher, ausgiebiger Kontakt zu Menschen und ein regelmäßiges Training im Umgang mit Menschen stattfinden. Diese Rassen haben oft eine Vorliebe für selbst gegrabene Liegeplätze unter Büschen, Bäumen und an den ausgefallensten Stellen – dies sollte für den Halter im Garten kein Problem darstellen. Außerdem sollte der Gartenzaun eine gute Sicherung durch eine entsprechende Höhe und Stärke bieten. Ich kenne zwar HSH, die in die Großstadt vermittelt wurden und dort gut zurechtkamen, würde diese Art der Haltung jedoch nicht empfehlen.

 

Woher stammen die meisten der Tiere? Werden sie aus dem Ausland importiert?

Bei mir im Training und in den von mir betreuten Tierheimen wurden – subjektiv gesehen – die meisten Herdenschutzhunde aus dem Ausland importiert oder stammen aus einer illegalen Vermehrung im Inland.

 

Haben Sie Anregungen, wie sich die zuspitzende Thematik mit den Herdenhunden/Hirtenhunden entspannen oder deutlich verbessern lässt? So ein Hund im Tierheim wird wohl nur schwer neue, liebe Besitzer finden, oder?

Die Vermittlung von Herdenschutzhunden ist oftmals schwierig. Viele Probleme ergeben sich durch die Unwissenheit der vermittelnden Personen, werden aber auch durch absichtliches Verschweigen von Rassezugehörigkeiten oder geschönten Geschichten der Vorgeschichte geschaffen. Das ergibt sich daraus, dass in einigen Tierschutzvereinen bei der Vermittlung von Tieren Quantität statt Qualität zählt. Die Probleme dieser Vergaben haben dann die Hunde bzw. die Halter, die mit ihnen überfordert sind. Mir wurde zum Beispiel von Kunden erzählt, dass ihnen der Herdenschutzhund extra empfohlen wurde, weil diese Rassen wenig bellen. Ja, diese Hunde bellen tatsächlich wenig, wenn es wenig Grund gibt, etwas zu melden. Lebt die Familie jedoch in einer Siedlung an einer Hauptverkehrsstraße und gehen alle paar Minuten potentielle Störenfriede vorbei, dann wird der Herdenschutzhund deutlich mehr bellen als ein durchschnittlicher Hund. Ebenso oft höre ich, dass Herdenschutzhunde als aggressiv gegenüber Menschen und Hunden beschrieben werden und deshalb gar nicht vermittelt werden. Auch das ist eine falsche Information, die den Tieren schadet. Eines ist sicher: Bei der Vermittlung sollte immer Wert auf das Individuum Hund gelegt und kein Schubladendenken angewandt werden! Eine umfangreiche Aufklärung hilft den Tieren und verhindert, dass sie zu Wanderpokalen werden. Eine Verbesserung würde sich einzig und allein dadurch ergeben, wenn sich die zukünftigen Halter, Züchter und Tierschutzvereine bewusster mit der Thematik Herdenschutzhund und Verhalten auseinandersetzen und Vermittlungen deutlich strukturierter und begleitender vornehmen.

 

Viele Infos zu Sabine Taferner, ihrer Hundeschule anima canis, ihren Ausbildungen und auch Workshop-Terminen finden Sie auf www.anima-canis.at.

 

Vielen Dank für die interessanten Ausführungen und Informationen

von (Kommentare: 0)

Zurück